top of page

Mut – zwischen Nordwand und Franz-Josefs-Warte

Aktualisiert: 8. Okt.

Mut. Ein großes Wort. Sofort sehen wir Bilder vor uns: Heldentaten, Gefahren, Menschen, die scheinbar furchtlos das Unmögliche wagen. Doch ist Mut immer so laut und heroisch? Oder zeigt er sich manchmal ganz leise, im Alltag, fast unscheinbar?




Unübersichtliches Gelände


„Die erste selbstständige Klettertour, die ich mit meinem jüngeren Bruder Günther unternahm, spielt in der Nordwand der Kleinen Fermeda: 500 Höhenmeter, unten schrofiges, unübersichtliches Gelände, oben steiler, wenig gegliederter Fels.“


Nicht mein älterer Bruder (den es gar nicht gibt), sondern Reinhold Messner erzählt diese Geschichte. Er beginnt so sein Kapitel Mut im Buch „ÜBER LEBEN“.Als nichtschwindelbefreiter Nichtbergsteiger habe ich in der Nordwand ohnehin nichts zu suchen – doch Messners Geschichten, und wie er sie erzählt, machen mich zum Fanboy.


Frühjahr 2017: Ich stehe als Letzter in einer langen Schlange – und irgendwann vor dem Helden der Berge. Ich bitte um eine Signatur ins gerade gekaufte Buch, dann um ein gemeinsames Selfie. Messners Reaktion: eher Nordwand. „… wenn es unbedingt sein muss.“„Naja, muss …“ Kurz darauf steht er neben mir und ich halte (offenbar zitternd, wie das Foto zeigt) mein Handy hoch.



ree


Der Mut und ganz oben am Berg


In seinem Buch schreibt Reinhold Messner: „Selbstvertrauen ist das beherrschende Element des Mutigen, weiß ich heute. … Positive Vorbilder? Nicht unbedingt, denn nur im selbst Tun ist Mut erlernbar … Aber nur, wenn ihn Erfahrungen aus gemeisterten Gefahrensituationen und das daraus gewonnene Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten tragen, ist der Mut eine verlässliche Voraussetzung, alles zu wagen und hoffentlich auch zu überstehen." (1)


Würde ich heute wieder vor ihm stehen, würde ich erneut um ein Selfie bitten – und versuchen, es diesmal scharf hinzubekommen. Aber ich würde auch sagen:„Herr Messner, bei allem Respekt – und glauben Sie mir, der ist riesengroß – bei vielem stimme ich Ihnen zu. Zweifellos braucht Mut unser Tun. ABER: Unterschätzen Sie bitte nicht die Vorbilder. Für uns Normalsterbliche sind sie Gold wert.“


Weil Mut tatsächlich ansteckend ist, würde ich vielleicht hinzufügen:„Ihre Sicht auf Mut klingt … nun ja … ein bisschen oldschool. Schön zwar, aufregend auch – aber doch: zu laut. Zu heroisch. Bisschen zu macho.“



Der Mut und nicht ganz so weit oben


Eine Freundin von mir, leidenschaftliche Bergsteigerin, stürzte bei einer Tour schwer. Nach Stunden wurde sie mehr tot als lebendig aus dem Eis geborgen. Über Monate kämpfte sie sich mit viel Willen und Mut zurück -  in ein fast „normales“ Leben. Und was macht sie jetzt? Steigt wieder rauf! Weil sie nicht anders kann.


Doch ist das wirklich Mut? Das Zurückkämpfen Tag für Tag sicherlich. Aber der Berg? Ist der nicht eher Sog, unausweichliche Leidenschaft oder gar Zwang? Mut heißt doch auch: ich kann mich dafür oder auch dagegen entscheiden. Ihre Geschichte zeigt: Mut ist nicht (nur) das Überwinden der Gefahr lichter Höhen, sondern auch das Durchhalten, wenn alles dagegen spricht.


Und ich? Ich besteige die Franz-Josefs-Warte am Linzer Freinberg -  obwohl sie heftig wankt. Zumindest wenn der Wind ordentlich bläst. Tut sie zwar nicht wirklich, weil sie stabil gemauert ist. Aber was hilft mir das, wenn meine Höhenangst Purzelbäume schlägt?


Mut hat eben viele Gesichter.




(1) Messner Reinhold: ÜBER LEBEN, 2016


 
 
 

Kommentare

Mit 0 von 5 Sternen bewertet.
Noch keine Ratings

Rating hinzufügen
ich_bogensport.png

Günter Kienböck

In diesem Blog widme ich mich dem Mut - in all seinen Facetten. In der Hoffnung, dabei ins Schwarze zu treffen.

Mehr Infos über mich:

Archiv

Tags

bottom of page